WEG VOM FENSTER ? Wien, 4.November 1984HS: Schau, ab jetzt wird es eh uninteressant das Leben, ab 30.
HK: Wieso? Das glaub ich nicht.
HS: Ohja.
HK: Da kommen noch ein paar Actions.
HS: Naja, ich weiß nicht. Wenn du überlegst, daß du dann schon ein paar
Jahre später 40 bist.
HK: Ja, da hab ich Pech gehabt, wenn ich das erlebe.
HS: Na eben: Ich hoffe, wir erleben es nicht.
Die Leute sind alle fast gleich alt. Und weißt du, was nächstes Jahr
passieren wird? Da explodiert da in Wien irgendwas, weil da werden
alle Freaks 30.
MT: Jedes Jahr werden alle Freaks 30.
HS: Aber nicht die Freaks. Das ist der 55er Baujahrgang. Das ist die
Geburtsstunde des Rock'n'Roll.
Schau, wenn du es konkretisierst, nur auf das Musikgeschehen da in Wien,
ist eigentlich nur ein ganz normaler Prozess passiert. Und zwar vom
amateurhaften Geigen im Proberaum mit vielleicht fünf Gigs im halben
Jahr, zu einem wirklich professionellen Betrieb.
HK: Aber mir war die Situation vor zehn Jahren wesentlich lieber. Da gab
es 10% der Musiker, aber die waren alle absolut geistesgestörte
Extrmisten. Die waren mir wesentlich sympathischer.
HS: Du, das kannst heute nicht mehr machen. Ich bin leider ein Beispiel
dafür, verstehst du.
RL: Ich möchte da noch sagen, daß in Wien, von den Kapellen die da irgendwie
herumkrebsen, kaum eine richtig spielen kann. Wenn du denen sagst:
spielen wir den 'Gschupften Ferdl', schafft der das nicht, egal ob du
den ans Klavier oder ans Schlagzeug setzt, oder Gitarre. Der kann nicht
das Simpelste begleiten, wenn du es ihm sagst. Die sind zu unmusikalisch.
Die Leute sind nur theatralisch.
MT: Jaja, das ist wahr. Viele Musiker aus Wien, wenn du denen sagst: jetzt
reiss einmal an, mit was du aufgewachsen bist ...
RL: Das schafft keiner.
HS: Na gut, die Leute haben ja keine Wurzeln mehr. Was haben die? Die
jüngeren Leute, die jetzt so vier, fünf Jahre spielen, die haben
angefangen total mit New mp3e und mit Punk.
RL: Nicht nur. Aus Ö3 rieselt ja immer das selbe.
HS: Da sind sie auch nicht besser bedient damit.
RL: Aber von einem Musiker mußt du ja verlangen, daß er sich mit was
anderem auseinandersetzt als mit New mp3e.
HS: Das kommt jetzt aber darauf an, ob du die totalen Musiker hernimmst,
die sich wirklich als Musiker deklarieren können und dürfen, oder die
Leute, die einfach was auf die Bühne stellen wollen. Da mußt du jetzt
Unterschiede ziehen.
RL: Das tue ich ja. Ich sag ja, es gibt viel zu wenige, die es beherrschen.
HS: Aber es sind meistens die Leute am worken, die es nicht beherrschen.
RL: Also die nur eine Show machen wollen.
HS: Das alte Metropol zum Beispiel. Das waren alles so Stätten, wo du ein-
fach hinein gegangen bist und schon alleine vom Umfeld und von der
Atmosphäre her das Gefühl gehabt hast, daß da jetzt was Aufregendes
passiert. Weil es ja in Wien sonst nichts, was junge Leute irgendwie
ein Bißchen aufgeregt hätte, gegeben hat damals. Und das ist komplett
verloren gegangen. Die Leute gehen heute nur mehr zu den Rockkonzerten
als wirklich brave Konsumenten, total hingetrimmte Konsumenten. Damals,
wenn sie zu einem Konzert gegangen sind, haben sie eine subversive
Aktion gestartet zusammen mit den Musikern auf der Bühne. Und wenn sie
nur gegen die Lahmarschigkeit protestiert haben, die sonst rennt. Aber
jetzt ist alles etabliert und es will auch jeder etabliert sein und
dadurch bringen sie sich gegenseitig sowieso um. Sie werden sich zer-
fleischen eines Tages da in Wien, weil das Publikum dann gar nicht
mehr weiß, was es sich eigentlich anschauen soll. Weil dann irrsinnig
viel Angebot da ist und es wird alles vielleicht sogar gleichförmiger
in den Stilen. Du kannst ja schauen, wo der ganze Scheiß mit der Tonau
und mit Bioton hingeführt hat. Wer spielt denn jetzt noch live ?
HS: Wo spielt sich jetzt noch was ab ? Die haben sich selber gemeuchelt.
Meine These ist, daß die gesundeste Form da in Wien der gesunde
Konkurrenzkampf war. Weil wenn eine Partie einfach drauf war, dann
hat sie sich auch verkauft. Und jetzt sind sie hergegangen und haben
diese ganzen Vereine gegründet und auf einmal haben nur mehr Partien
gespielt, die eigentlich gar keine Berechtigung gehabt hätten auf eine
Bühne zu gehen. Ich will keine Namen nennen, aber da gibt es zig Partien,
die hätten nach meinem Musikgeschmack nicht verdient auf eine Bühne
gestellt zu werden mit anderen Leuten, dioe wirklich geprobt haben und
originelle Ideen kreiert haben. Die haben nichts mehr zu tun brauchen,
weil die haben ihren Verein hinter sich gehabt. Und da ist gespielt
worden, und in der Szene, und in der Arena, weil das haben wir okupiert,
das haben wir eingestreift, das ist alles klar. Und dort spielt ihr.
Und wer nicht beim Verein ist, spielt da nicht mehr. Wir haben nämlich
dicke Freunde. Und das hat natürlich diesen speziellen wiener Under-
ground gemeuchelt. Total tot. Aus.
HK: Früher sind nur Leute hinauf gekommen, die wirklich spielen wollten.
HS: Ja, die auch was zu sagen gehabt haben. Und die aus gesunden Roots
heraus, nämlich aus diesem Scheiß-Wien heraus, dann was gemacht haben.
Daß das jetzt amerikanische Einflüsse waren, ist eh klar, weil man kann
sich nicht mit einer Zither und einer Kontragitarre hinsetzen und den
'Dritten Mann' spielen und dadurch irgendwie auffallen.
RL: Das wäre aber ein Hit, wenn das einmal einer könnte von den Typen.
weil glaubst du, das kann einer von den seltsamen Leuten, die da herumtun ?
HK: Keine Qualifikation.
HS: Man kann gar nicht viel darüber sagen. Es war damals einfach gesünder,
viel gemeiner, viel schleimiger alles, gemein, gemein !
RL: Die Typen waren aber selber schuld. Die Aktionisten von damals wollten
dann nur noch Kränzchen bilden, die wollten sagen, wir sind die Gesell-
schaft, wir sind die Bösewichte. Es waren ja auch viel zu wenige
wirkliche Einzelgänger, Individualisten dabei. Deswegen sticht ja auch
der Koller so heraus und alle anderen waren dann mit von der Partie.
HS: Ja das ist mit dem Jahrzehntenwechsel zu Ende gegangen einfach. Und
komischer Weise, kurz nachdem sich die Band aufgelöst hatte, hat sich
dann nämlich eine richtige wiener Szene erst entwickelt. Ganz kurz danach.
HK: Das sehe ich auch, ja. Die Erben sind nämlich in ein ganz seltsames
Loch hineingefallen irgendwo. In der Zeit zwischen 76 und 80.
MT: Ja.
HS: Ja schon.
HK: Da ist gerade Punk herüber gekommen. Ich habe damals 76 die 'Pistols'
gesehen in London, aber in Wien war noch Stille.
HS: Das ist erst drei Jahre später gekommen.
RL: Interessant ist auch, daß 1978 in Wien am meisten Musikinstrumente
verkauft wurden. Das ist so ein, zwei Jahre gegangen und jetzt ist es
wieder sehr schlecht. Jetzt ist es wieder ganz im Keller. Aber das war
ein Boom damals.
HK: Und jetzt herrscht da so eine totale Überbevölkerung.
HS: Jetzt momentan kannst du von einer Szene gar nicht mehr sprechen, weil
die Leute nicht einmal miteinander reden. Und wenn sie reden, dann reden
sie nicht über Musik sondern über Zahlen. Weil die Leute haben es alle
geschafft. Der Nemeczek hat es geschafft und du weißt eh.
HK: Ich habe da eine Aufnahme von einem Interview, da sagt der Fender von
der Mordbuben AG: Es wird der Tag kommen, an dem wir uns alle vermarkten
lassen, so wie wir da sitzen. Und der Nemeczek schreit ganz laut:
Niemals, ich nicht! Und er ist nämlich der erste, der jetzt am aller-
besten im Geschäft ist.
HS: Na was heißt.
MT: Ich weiß, der hat immer das Gegenteil behauptet.
HK: Ich habe mir immer gedacht, er wird Politiker.
MT: Vor den Erben ist er schon gelegen ein Bissl, auf die hat er schon
gehalten und so.
HS: Ja schon, ich weiß das. Wie ich damals den Gig im Amerlinghaus gecheckt
habe, war er in dem Büro zuständig: "Für die Erben dreitausend, aber
normal fünfzehnhundert."
RL: Die sind ja als Kapelle auch sehr schlecht die Minisex. Die haben ja
eineinhalb Jahre geprobt neben meiner Werkstatt. Da hörst du ja jeden
Mist durch. Der Schlagzeuger hat einen Schmäh, der neue Bassist den sie
haben, der krallt sich so an den Rhythmus ...
HS: Sie haben auch keine richtigen Idole mehr die Leute, daß sie wirklich
anfangen. Ich meine jetzt auf die Rockmusik projeziert. Ein klassischer
Musiker der fängt sowieso zu musizieren an, weil es einfach in ihm steckt.
RL: Ja, der hat ja viel mehr Auswahl, was er spielen kann.
HS: Ja sowieso.
RL: Na wer ist denn heute der ganz große Musiker, wo man sagen könnte,
wie ein Zappa vor zehn Jahren der Mann war ? Gibts da heute einen ?
HS: Ich kenne niemand.
HK: Der Zappa.
HS: Ja, nach wie vor.
FB: Ich habe so alte Mothers of Invention Platten und wenn du die dir
genau anhörst, dann merkst du, daß der Zappa seit dem nichts mehr Neues
gemacht hat, weil da alles schon drauf ist.
HK: Und durch Metzlutzka's Erben hat er ja sicher einen ziemlichen
Rückschlag erlitten, weil er dann jahrelang keine Platten mehr gemacht
hat.
MT: Danke.
DB: Die kommen erst jetzt raus.
HK: Ja, alle auf einmal.
MT: Scheiß!
HS: Ich glaube. die Leute waren damals froh, daß sie wirklich ein paar
Rockkonzerte gesehen haben. Sie waren wirklich dankbar dafür. Weil
es waren nur volle Häuser damals immer.
RL: Es war sehenswert. Überall, wenn irgendwo ein Treffpunkt ausgemacht
war, war irgendwas los, mit dem niemand gerechnet hat. Es ist einfach,
bei der Anzahl von Leuten muß es so sein. Das können nur noch die
Philharmoniker überbieten. Ich glaube, da sind pausenlos Skandale.
Die müssen ein paar Sprecher haben, die das vertuschen.
FB: Für mich war Metzlutzka's Erben die wilde Zeit, weil ich bin ja da
ins heillose Chaos hineingestürzt.
MT: Wir wollten immer so viele Überraschungszuckerln bringen wie möglich.
Einen einzigen Christbaum zeitweise. Ein Zuckerlgeschäft. Aber leider-
gottes Kleinkrämerei.
HS: Die waren wirklich dankbar dafür, daß damals das gelaufen ist und daß
es losgegangen ist. Heute sind sie etwas übersättigt, weil heute rennt
jeden Tag ein Rockkonzert von einheimischen Partien, wo die meisten
nicht geigen können. Ich habe nämlich bei fast allen Partien irgend-
wann einmal gespielt unten im Keller und ich weiß, wie die Leute wirklich
sind. Weil nach dem Latveria Split war ich nämlich ein halbes Jahr
auf der Suche nach Partien.
HK: Die haben ein irres Equipment, wie Marshall Türme und dergleichen,
aber es kommt einfach nichts herüber.
RL: Der Marshall Turm war ja damals so ein Geilheitssymbol.
MT: Es kommt nichts mehr aus dem Marshall heraus, weil jetzt alles aus
dem Fairlight kommt.
HS: Ich glaube einfach, daß sich die Leute heute nicht mehr trauen etwas
Subversives zu probieren, weil sie einfach Angst haben.
RL: Man könnte sicher heute auch noch eine gute originelle Musik machen,
wo jeder sagt das geht. Aber es steht niemand mehr auf und sagt: jetzt
habe ich genug von dem Ganzen, jetzt spielen wir den Hit von hinten nach
vorne. Einfach mal horchen, wie es klingt. Tut niemand mehr.
HS: Ich seh das ziemlich negativ alles momentan.
HK: Ja, es ist auch schon alles erlaubt, es ist schon alles gemacht worden.
Und da hört es sich dann sowieso auf, weil du kannst ja niemand mehr
mit irgendwas schockieren.
HS: Aber es wird sicher wieder irgendwas kommen, das spüre ich irgendwie.
Nur wird Wien halt wieder 3 Jahre warten müssen, bis es da auch ist.
HK: Aber wenn du dir anschaust, was jetzt in London läuft, kannst du es zu
90% vergessen. Es klingt alles gleich, jeder hat dasselbe Equipment.
RL: Die Besetzung ist immer die selbe.
HK: Es ist nur mehr eine Geldfrage. Es ist nur mehr die Frage, welchen Synth
kann ich mir leisten und wer kann ihn programmieren. Es wird dann bald
nicht mehr dort stehen Musiker, sondern nur mehr Programmierer oder was
weiß ich. Ich will wieder Partien mit zwei Gitarren sehen.
HS: Das spielt es nicht.
HK: Aber es muß ja irgendwann einmal Schluß sein mit dem ganzen Eintopf.
MT: Nein, wieso?
HS: Für mich ist das so, daß die einzigen Leute, die wirklich noch den Gesamt-
begriff Rockmusik praktizieren, die Hard- und Heavyrocker sind. Die sind
noch am ehrlichsten irgendwo, obwohl ich kein Hard- und Heavyrockfan bin.
Aber die sind noch am ehrlichsten an der Wurzel. Aber du kannst den anderen
nicht vorwerfen, daß sie das nicht machen. Die machen es einfach nicht.
Sie programmieren halt. Da kannst du nichts machen. Das hat mit der Grund-
idee von Rock oder Rock'n'Roll überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist vorbei.
Die Sache ist gelaufen.
RL: Naja, ich glaube die Ideen sind ja nur reininterpretiert worden. Wenn
einer anfängt Rock zu spielen, macht er das nur aus Spaß. Ich glaube,
da waren gar nicht irgendwelche Hintergedanken.
HS: Ja richtig. Rock'n'Roll soll rein aus Spaß entstehen.
RL: Sogar die Punkmusik. Das ist ein geiler Spaß vielleicht, weils lustig
klingt, weils federt, der Rhythmus. Aber heute wird ja soviel reingelegt,
was da noch dazu gehört und da mußt du dauernd in sein.
HS: Weißt du, was ich mir anhöre zu Hause? Nächtelang, tagelang ohne Unter-
brechung? Nur mehr Dylan! Ich geb mir nur mehr ihn auf der Gitarre.
Ich hab früher gehört Jazzrock und Rock und pfau. Jetzt sitz ich nur
mehr zu Hause und er gibt sichs auf der Gitarre. Und ich: ja leiwand!
Verstehst? Der Typ ist ein Genie!